Bei der Soziometrie handelte es sich um die Analyse, Messung und Interpretation interpersoneller Beziehungen in Gruppen, die auch als Netzwerkanalyse bezeichnet wird. Sie wurde von Jacob Levy Moreno (1889-1974) ab 1916 in einem Flüchtlingslager in Mitterndorf (a. d. Fischa) entwickelt, ab 1930 dann in den USA systematisiert und öffentlichkeitswirksam verbreitet.1) Gleichzeitig wurde die Soziometrie immer auch als Wissenschaft der Heilung sozialer Systeme konzipiert (Soziatrie), indem sie konkrete Interventionen bereithält, die Gruppen kohäsiver, effektiver und produktiver machen sollen.
Die besondere Leistung der Soziometrie besteht darin, drei Bezugspunkte auf Netzwerke einzuführen:
- Der Blick auf das Netzwerk als Ganzes (systemische Perspektive der Matrix).
- Die Erforschung der Beziehungen der Netzwerkmitglieder (sozialpsychologische Perspektive).
- Die Position des Einzelnen im Ganzen (personenzentrierte Perspektive).
Die Soziometrie zielt auf die Sichtbarmachung der Tiefenstrukturen von Gemeinschaften ab. Zu diesem Zweck sind vor soziometrischen Test unumgänglich sogenannte »warming up«-Phasen zu setzen, damit auch tatsächlich – durch die damit verbundene Lenkung der Wachsamkeit – die Tiefenstruktur zum Vorschein kommen kann. Ein Rollenspiel kann z.B. als solch ein »warming up« eingesetzt werden. Die zugrundeliegende Idee ist die qualitative Verbesserung von Gemeinschaften durch deren Umgestaltung, die Veränderung sozialer Systeme (Paare, Familien, Klassengemeinschaften, Arbeitsteams, Not- und Dorfgemeinschaften, Unternehmen, Nationen) nach deren soziometrischen Beziehungen.
Soziometrie lässt sich in folgenden Anwendungsfeldern einsetzen:
- In der Pädagogik: Zur Erforschung und Analyse von Dynamiken bei Mobbing, Rassismus und Diskriminierung.
- Als Instrument der umfassenden Beziehungsdiagnose eines Klienten, da hier zum Individualsoziogramm auch die – leider oft übersehenen – strukturdynamischen Effekte mit einbezogen werden.
- Als Basis für die optimale Zusammensetzung von Arbeits- & Projektteams (erhöht nachweislich die Effektivität & Produktivität).
- Als Wissenstool für Führungskräfte aller Organisationsebenen.
- Zur Planung und Steuerung sozialer Lernprozesse durch die Gruppe (das Team) selbst. (Kohäsionseffekt)
- Als Matrix zur Evaluation sozialpädagogischer bzw. (psycho)therapeutischer (Trainings)Programme.
1)Moreno folgte hier einem Trend seiner Zeit, der mit Johannes Delitsch und Siegfried Bernfeld im deutschsprachigen Raum um die Wende zum 20. Jahrhundert begonnen hatte, und den er um neue Fragestellungen stark erweitert und mit grafischen Darstellungsformen und statistischen Auswertungsinstrumenten (Operationalisierungen) wesentlich angereichert hat.